Harburger Röhrenbunker wird öffentlich zugänglich - Hamburger Abendblatt

2022-11-14 15:14:34 By : Mr. Vic lin

John Borchers (l.) und Günter Lange fegen den letzten Schutt zusammen.

Foto: Angelika Hillmer / Hillmer/HA

Geschichtswerkstatt Harburg macht unterirdischen Weltkriegsbau im Binnenhafen wieder begehbar. Welche Veranstaltungen geplant sind.

Harburg.  100 Menschen und mehr saßen im engen Schutzraum, hörten den ohrenbetäubenden Lärm der Bombeneinschläge, das Geprassel von Trümmern und Splittern auf die Bunkerröhren. Sie saßen wahrscheinlich im Dunkeln, konnten kaum atmen wegen des Staub- und Brandgeruchs. Und alle wussten: Einen Volltreffer würden sie nicht überleben.

Im Zweiten Weltkrieg werden sich dramatische Szenen im Röhrenbunker am Kanalplatz im Harburger Binnenhafen abgespielt haben. Der Schutzbau geriet in Vergessenheit. Nicht nur Gras, komplette Bäume sind längst über ihn gewachsen. Jetzt will die Geschichtswerkstatt Harburg ihn der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Mitte September unterschrieb der Verein mit Sitz in der benachbarten Fischhalle Harburg einen Mietvertrag mit der Stadt. „Die Bezirkspolitik hat uns großzügig unterstützt und 12.000 Euro für die Erneuerung der Elektrik bewilligt“, sagt Birgit Caumanns vom Vorstand der Geschichtswerkstatt. „Wir brauchen Licht und Steckdosen“, sagt Vorstandskollege Klaus Barnick, nimmt eine Astschere und schneidet ein paar Zweige am Bunkereingang zurück. „Wir wollen hier pädagogische Veranstaltungen machen, vor allem für Schulklassen. Aber sicherlich ohne Gespenster und Gruselgeschichten. Das hier ist ein Gedenkort.“

Etwas gruselig ist es schon, wenn man die Stufen zu den beiden Röhren hinabsteigt. Dort saß früher ein Wächter für die Einlasskontrolle. Im Inneren folgt ein kleiner Vorraum, vermutlich eine Gasschleuse. Dann steht man in der ersten von zwei parallel verlaufenden Betonröhren, gerade mal zwei Meter breit und nur wenig höher. Jede der etwa 17 Meter langen Röhren sollte 50 Menschen aufnehmen. Sie saßen auf zwei parallel verlaufenden Bankreihen. Vermutlich gab es auch eine Ablage für die wenigen Habseligkeiten, die die Menschen mitbringen durften.

Sicherlich auch Wasser, aber wohl keine Nahrungsmittel. Am Ende einer Röhre befindet sich ein kleiner Raum, der offenbar einst mit einer Tür abgetrennt war. Hier könnte eine Trockentoilette gestanden haben – einen Wasseranschluss gab es nicht. Und sehr wahrscheinlich aufgrund der laufenden Luftangriffe auch keinen Strom. Hier stunden-, womöglich tagelang gedrängt im Dunkeln ausharren zu müssen, bis die Bombenangriffe nachgelassen haben: Das ist für Nachkriegskinder jeden Alters kaum vorstellbar.

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Wer mag hier gesessen haben? Hafenarbeiter? Passanten? Anwohner? „Solche Röhrenbunker wurden schnell gebaut und oft an Kreuzungen errichtet, damit Passanten Schutz suchen konnten“, sagt Regine Wörmer. „Wer den Harburger Bunker genutzt hat, wissen wir nicht“, sagt Caumanns. „Uns sind keine Zeitzeugen bekannt oder Angehörige, die etwas über die Nutzung des Bunkers berichten können.“ Sie ruft alle Harburger auf, die Hinweise geben können, sich bei der Geschichtswerkstatt zu melden. Per E-Mail an info@geschichtswerkstatt-harburg.de oder dienstags von 16 bis 19 Uhr im Büro in der Fischhalle Harburg am Kanalplatz 16, Telefon 040/76 75 73 07.

Der Röhrenbunker wurde 1940 in wenigen Monaten im Auftrag des Polizeipräsidenten als Luftschutzraum für die Zivilbevölkerung erbaut und am 16. August 1940 an ihn übergeben. Auf der sandigen Fläche zwischen dem Kaufhauskanal und den Kontorhäusern auf dem Kanalplatz war er als leichte Wölbung zu erkennen. „Jede Röhre hatte einen Notausstieg“, sagt Caumanns. Sie deutet auf die Öffnung eines rostigen Rohres, das senkrecht in der Bunkerwand verbaut ist. Es mag ein Lüftungsrohr gewesen sein.

Die Röhren schützten Menschen vor herumfliegenden Splittern und Trümmern – einem Volltreffer hätten sie nicht standgehalten. Harburg wurde großflächig zerbombt, der Bunker blieb verschont. Er wurde in der Nachkriegszeit als Wohnung genutzt und dabei umgestaltet. Caumanns verweist auf eine „schmale Bauakte“ in der Bezirksverwaltung: „Unter den wenigen Dokumenten findet sich eine Bescheinigung aus 1954, dass der Bunker unbewohnbar sei. Die Familie musste ausziehen.“

Allmählich deckte Wildwuchs die Bodenwölbung zu, wurde zum „Wäldchen“ am Kanalplatz. 1980 habe es eine amtliche Nachfrage gegeben, „ob der Schutzraum zur Verfügung stehe“, sagt Barnick. 1990 sei der Bunker endgültig aufgegeben worden. Sehr viel später, bis 2009, wurden die Röhren als Getränkelager genutzt. Allmählich rückten sie ins Visier der Geschichtswerkstatt, die den Bau als Denkmal erhalten wollte.

Für den Bau der Veloroute 10 wurde im vergangenen Jahr das Wäldchen beschnitten, und die Backsteinwände des Bunkers kamen zum Vorschein. Die sechs Aktiven der Arbeitsgruppe Bunker der Geschichtswerkstatt stellten zunächst eine Informationstafel auf und verhandelten, unterstützt vom Bezirk, mit dem LIG (Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen). Vor sechs Wochen kam der Mietvertrag zustande. Seitdem hat die Bunker-AG zusammen mit weiteren freiwilligen Helfern 40 bis 50 Arbeitsstunden geleistet, um das Bauwerk begehbar zu machen. Es wurden Schmutz und Dreck weggeräumt, Spinnenweben und herausstehende Nägel entfernt, der Eingang per Astschere frei gehalten. Viel mehr soll vorerst nicht geschehen.

Birgit Caumanns würde gern möglichst viel vom Originalzustand sichtbar machen. Das betrifft zunächst die Wände: Ein Fassadenreiniger könnte zwei Farbschichten entfernen, die nach dem Krieg aufgetragen wurden. Wenn die Originalfarbe erreicht ist, werden wahrscheinlich Beschriftungen sichtbar werden. Das zeigte sich in anderen Hamburger Röhrenbunkern, etwa dem Exemplar des Bunkermuseums in Hamm. Aktuell ist im Hafenbunker nur in der ersten Röhre ein undeutlicher Hinweis „Raum 1“ erkennbar.

Zu den Harburger Gedenktagen wird der Röhrenbunker beim Vortrag „Überleben im Bunker“ einen Auftritt bekommen: Dienstag, 29. November, 19 Uhr, Fischhalle Harburg.

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